Ankommen und Leben

Ostdeutschland nimmt unter den Ländern, die politische Flüchtlinge aufnehmen, eine besondere Stellung ein, weil es beschlossen hat, nur eine begrenzte Anzahl von Kindern aufzunehmen und weil es eine besondere politische und staatliche Struktur hat.

Die Entscheidung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und insbesondere der Sozialistischen Einheitspartei (SED) war Teil eines umfassenderen politischen und diplomatischen Propagandarahmens und gleichzeitig ein Akt von ausgeprägter Symbolik, der Loslösung von der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Wiedergutmachung für das Leiden der Griechen unter dem Joch der Nazis.

“Nach zwei Jahren Aufenthalt in Bulgarien, in denen wir viele glückliche Momente erlebten, zugleich aber auch häufig an unsere Familie dachten, erfuhr ich, dass ich nach Deutschland kommen würde. Meine Gefühle waren gemischt. Es war natürlich schwer, sich vorzustellen, dass es nach dem zweiten Weltkrieg nun ein Deutschland geben sollte, dass uns aufnehmen und versorgen würde. Letztlich glaubte ich jedoch den Versicherungen unserer Betreuer, dass wir in unserer neuen Heimat eine gute und sichere Zukunft haben würden.”
Theodora Afendoulidou, Lefkimi Evros

Im Rahmen der Entlastung und Umverteilung der politischen Flüchtlinge des griechischen Bürgerkriegs wurden zwei Missionen von den sozialistischen Balkanländern nach Ostdeutschland durchgeführt. Die ersten Flüchtlingskinder kamen im August 1949 in Sachsen an. Es handelte sich um 342 Kinder im Alter von 7-20 Jahren, die sich vorübergehend in Albanien aufhielten und über die Tschechoslowakei nach Ostdeutschland weitergeleitet wurden. Die minderjährigen Flüchtlingskinder wurden in fünf verschiedenen Kindertagesstätten untergebracht und bei den älteren wurde dafür gesorgt, dass sie schnell die Sprache lernen und eine Berufsschule besuchen konnten.

Der Empfang in Bad Schandau war mein erster Eindruck von Deutschland und er war gut, denn wir wurden sehr herzlich begrüßt, bekamen zu trinken, zu essen und Blumen überreicht. Die nächste Station war wie eigentlich für alle griechischen Kinder Radebeul. Wir wohnten in einer schönen Villa im Körnerweg - nicht weit von unserer Schule. Was mich dagegen besorgte, war der Entschluss der für uns Verantwortlichen, uns in gemischten Klassen zu stecken. Schließlich konnte ich kein Deutsch und wusste folglich nicht, wie ich mich mit meinen Mitschülern verständigen sollte. Aber die Entscheidung war durch unsere Betreuer, die Herren Panourjias und Hypokrates, gefallen - neben jedem griechischen Schüler kam ein griechischer Schüler zu sitzen. Eigentlich war die Begründung nachvollziehbar, da wir so gezwungen waren, schnell Deutsch zu lernen (...).”
Stamatia Karajani, Didymoticho Evros

Im Juli 1950 folgte eine größere Expedition mit 720 Kindern im Alter von 8-17 Jahren und 40 Betreuern von Bulgarien nach Dresden, genauer gesagt in die Stadt Radebeul, die das Zentrum der Flüchtlingsaktivitäten war. Der Empfang der Flüchtlingskinder war herzlich, auch wenn sie selbst vor der Vorstellung zitterten, in ein Land zu gehen, in dem die traumatischen Erinnerungen an die Besatzungszeit beim Klang des Wortes wachgerufen wurden.

“Im Sommer 1950 fand eine Versammlung statt, auf der uns mitgeteilt wurde, dass einige Jugendliche und Kinder nach Deutschland geschickt werden würden. Unter diesen Kindern war auch ich, meine Tante Jerakina, meine Cousine Stamatia sowie ihre Brüder Kostas und Thanassis. Einige Monate, bevor es nach Deutschland losging, teilte mir meine Mutter mit, dass sie mit mit ihren zwei Schwestern sowie mit meinen beiden jüngeren Schwestern nach Polen gehen würde. Meine Enttäuschung über diese Entscheidung war riesig und meine Reaktion entsprechend wütend. Immerhin schickte mich meine Mutter nach Deutschland, dessen Armee Griechenland besetzt und in Europa so viel Unheil angerichtet hatte. Eine meiner Freundinnen meinte zu meinem Erschrecken, dass in Deutschland alle Faschisten wären. Ich schrieb meiner Mutter daraufhin einen Brief, dass ich nicht mehr ihre Tochter wäre.”
Stamo Tsiaprazi, Chionades Evros

“Natürlich löste der Zielort Deutschland bei mir zunächst Bedenken aus, schließlich hatte ich noch die Okkupation der Wehrmacht in Erinnerung. Aber ich glaubte den Erzählungen der Älteren, die uns beruhigten, wir kämen in ein anderes, ein freies und antifaschistisches Deutschland. Bereits die ersten Eindrücke angesichts des herzlichen Empfangs gleich nach der Grenze von der Tschechoslowakei kommend, waren überwältigend. In Bad Schandau wurden wir unter anderem von Angehörigen der Organisation Freie Deutsche Jugend begrüßt. An eines der Lieder, die sie sangen, kann ich mich noch erinnern: „Bau auf, bau auf, bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jungend, bau auf. Für eine bessre Zukunft richten wir die Heimat auf!“ Zwar verstand ich damals den Text nicht, aber da ich das Lied noch oft hörte, erschloss sich mir später der Inhalt.“
Thanassis Karajanis, Thourio Orestiada, Evros

Allmählich erleichterten die täglichen Interaktionen und der sinnvolle Kontakt mit den deutschen Betreuern, die in einigen Fällen als Familienersatz fungierten, die Verbindung zum deutschen Volk und heilten gleichzeitig die frischen Wunden des Krieges.

“Außerdem war ich es wie die anderen Kinder inzwischen gewohnt, getrennt von unseren Eltern zu sein. Das Leben im Internat gefiel mir, und der Unterricht in der Schule machte mir Spaß, auch wenn uns am Anfang die deutsche Sprache mächtig zu schaffen machte. Aber als Kind lernt man schnell, zudem hatten wir sehr gute, aufmerksame Lehrer. Auch der Kontakt zu unseren deutschen Mitschülern half mir, schnell Deutsch zu lernen und mich in das Leben in der neuen Umgebung zu integrieren.”
Marika Trautvetter, geboren Stilpnopoulou, Nea Santa Komotini

Mein Deutschlehrer Melchior war ein ehemaliger Pilot der Wehrmacht, der in den Niederlanden abgeschossen worden war und im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands lebte. Er trimmte mich ordentlich, damit ich so schnell wie möglich die Sprache lernte. Eines Tages schenkte er mir sogar seine Fliegerbrille. Ein Problem war seine Vergangenheit für mich nicht, denn er hatte ihr ja abgeschworen.”
Kostas Stoupis, Vissani Ioannina

Auch wenn es mir selbst heute merkwürdig erscheint, aber den Verlust der Eltern habe ich damals gar nicht so schmerzlich empfunden. Vielleicht war ich zu jung, um mir darüber Gedanken zu machen. Außerdem waren wir mehr oder minder alle gleichaltrig, teilten das gleiche Schicksal und waren eine eingeschworene Gemeinschaft, die alles gemeinsam unternahm. Dieser Zusammenhalt ersetzte in gewisser Weise die Familie. Das Heim wurde trotz der uns fehlenden Eltern so schnell unser Zuhause, wir fühlten uns dank der aufmerksamen und liebevollen Betreuung durch die Deutschen geborgen und gut versorgt. Nach der Schule gab es Marmeladenschnitten, die wir sehr mochten und nach denen wir dauernd verlangten. [...] Ab der fünften Klasse waren wir in der Schule griechisch-deutsch gemischt. Pro Klasse gab es drei bis fünf griechische Kinder. In der neunten Klasse schloss ich dann die ersten tieferen Freundschaften. Die Mädchen hießen Ingrid und Monika. Etwa zu dieser Zeit wurde mir auch meine Geschichte als Teil der griechischen Emigration bewusst.”
Vasiliki Hanus, Raiko Ioannina

“ Für mich war es unmöglich, die damalige Situation in ihrer Tragweite meiner Flucht und Entwurzelung zu erfassen. Als man mir sagte, ich werde in eine der Volksdemokratien geschickt, hatte ich keine Ahnung, was das für mich bedeuten würde. Ich kannte ja noch nicht einmal das Wort „Volksdemokratie“, geschweige denn seine Bedeutung. Eine Vorstellung, von dem, was mich erwarten würde, hatte ich folglich nicht.  In der Schule hatten wir dann auch wieder griechische Lehrer, so dass ich schnell „reinkam“. An die deutschen Erzieher habe ich sehr gute Erinnerungen, die waren alle sehr nett.”
Sacharoula – Sascha Blithikioti, Lagkada Ioannina

Die größte Herausforderung für die Betreuer der Flüchtlingskinder war ihre Ausbildung und die anschließende Integration in die Berufsschulen in den Aufnahmeländern. Aufgrund der Situation in Griechenland nach dem Zweiten Weltkrieg waren ¾ der Kinder, die an den Missionen teilnahmen, völlige Analphabeten, während einige nur eine rudimentäre Ausbildung erhalten hatten. Daher wurde dem Unterricht in Griechisch - und in einigen Fällen auch in Mazedonisch - sowie der Erstellung und Veröffentlichung von Lehrbüchern unter der Verantwortung des EBOP Priorität eingeräumt.

“Trotz des straff organisierten Tagesablaufs - wir hatten intensiven Deutschunterricht, später kamen Mathematik und Physik hinzu - blieb uns genügend Freizeit für Fußball und andere Sportarten. [...] Als ich das erste Mal Deutsch hörte, klang es in meinen Ohren fast wie Musik. Das gefiel mir außerordentlich. Manchmal schlich ich mich aus dem Saal, in dem wir Mittagsschlaf hielten, und ging auf die Straße, nur um dem Klang der deutschen Sprache zu lauschen.  Wie lange wir in Deutschland bleiben würden, wussten wir damals nicht. Unsere Betreuer sagten uns lediglich, dass es nicht für immer wäre. Die Standarderklärung war: Ihr werdet zurückkehren, wenn die Verhältnisse es zulassen (...) Verglichen mit dem Leben, das ich in Griechenland geführt hatte, war ich sorgenfrei, ja glücklich. Was mich dennoch bedrückte, war die Entfernung zu meinen Eltern, die inzwischen nach Polen umgezogen waren, um in unserer Nähe zu sein. […] Inzwischen war mir klar geworden, dass an eine schnelle Rückkehr nach Griechenland nicht zu denken war. (...) Am meisten reizte mich in der DDR die Aussicht auf eine gute Bildung. Der Unterschied zu meiner Heimat war wie Tag und Nacht. Der Unterricht in Leipzig, wo ich inzwischen lebte, hatte System und ermöglichte es mir, sehr schnell zu lernen und auf die Oberschule zu wechseln. Nach dem Abitur bewarb ich mich an der Filmhochschule Babelsberg, wurde jedoch nicht angenommen. Daraufhin entschloss ich mich, es an der Technischen Hochschule, später Universität, Dresden zu versuchen, wo ich aufgenommen wurde und meinen Diplomabschluss machte.”
Prof. Dr. Moisis Triandafilidis, Aetofolia Serres

Die Flüchtlingskinder wurden in ihrer Muttersprache unterrichtet und besuchten spezielle Kurse in griechischer Sprache, wie Literatur, Geografie und Geschichte. Der Unterricht in der griechischen Sprache war untrennbar mit der Kultivierung des Nationalbewusstseins und der Herausbildung der griechischen Identität der Flüchtlingskinder verbunden. Das oberste Ziel aller Beteiligten war die Rückkehr der Kinder nach Griechenland, ihre Integration und die Nutzung ihrer Bildung für den sozialistischen Fortschritt des Heimatlandes. In den ersten Jahren wurde der Unterricht in der Muttersprache, auf der Ebene des Lesens und Schreibens, aufgrund des Mangels an Lehrkräften von 'Müttern' übernommen, die während der Missionen rekrutiert worden waren, von Guerillakämpfern, die aufgrund von Verletzungen nicht in der Industrie arbeiten konnten, und von älteren Kindern, die ähnliche Kurse besucht hatten, während sie in Griechenland lebten. Durch den Griechischunterricht wurde den Kindern beigebracht, Griechenland zu lieben und es als ihr 'Heimatland' anzuerkennen, neben den besonderen Heimaten, die sie zurückgelassen hatten, den Dörfern, in denen sie in Nordgriechenland aufgewachsen waren. Die Flüchtlingskinder lernten, internationale Persönlichkeiten der kommunistischen Bewegung zu bewundern und formten moralische Werte, die der Sache des Sozialismus und dem Aufbau einer solidarischen Gesellschaft dienen sollten.

“Im August 1950 kamen wir nach Radebeul, ebenso wie alle anderen grie- chischen Kinder, die schon 1949 in die DDR aus Albanien kamen und in ver- schiedenen Orten innerhalb der DDR untergebracht waren. Etwa zur glei- chen Zeit wurde das sogenannte „Kombinat Freies Griechenland" gegründet - ein Verband von etwa 12 Heimen und Einrichtungen, zu denen u.a. eine Schule, eine Krankenstation und später ein Kindergarten gehörten. Das Gebäude, in dem ich untergebracht war, befand sich in der Borstraße 9. Als wir dort ankamen, waren die Renovierungsarbeiten noch nicht ganz fertig. [...] Im Heim in der Borstraße 9 blieb ich bis zum Ende des Schuljahres 1950/51. Ich besuchte anfangs die 6., dann die 7. Klasse. Prinzipiell erfolgte der Unterricht bis auf eine Ausnahme mit deutschen Lehrern, die kein Griechisch verstanden mit Schülern, die kein Deutsch sprachen. Das war schon ziemlich skurril. Die ersten Stunden liefen so ab, dass der Lehrer Körperteile - etwa die Nase - an die Tafel zeichnete und den deutschen Be- griff dafür aussprach, danach mussten wir die jeweiligen Worte wiederholen und lernen. Anschließend haben wir uns mit dem lateinischen Alphabet beschäftigt, das sich ja erheblich vom griechischen unterscheidet. Da wir aber im Grunde alle ausgesprochen fleißig waren, machten wir gute Fort- schritte. Für den direkten Wechsel zur Oberschule, wie das heutige Gymna- sium damals hieß, reichten aber unsere Sprachkenntnisse aber nicht aus. Deshalb wurden 18 griechische Schüler ausgewählt, die innerhalb der Vor- bereitungsklasse 8 V fit für die Oberschule gemacht werden sollten. Dazu gehörte auch ein Intensivkurs in Deutsch. Wir wurden in ein anderes Heim untergebracht, wo wir auch nach Schulschluss, praktisch Tag und Nacht Deutsch lernten, wobei uns die Erzieher tatkräftig halfen und unterstützten. Vor allem unser hochverehrter Lehrer Ringel, hat sich uns besonders intensiv angenommen. Unvergesslich mein erster Theaterbesuch in Dresden, zu dem mich Herr Ringel mitnahm. 1952 sind wir von Radebeul nach Dresden-Loschwitz in ein Jugendheim umgezogen, um den Unterricht an der Oberschule zu beginnen. In unserer Klasse waren zwar zunächst nur griechische Schüler, allerdings erfolgte der Unterricht ab da ausschließlich in Deutsch. Nach den Winterferien wurden die 18 griechischen Schüler auf mehrere Klassen aufgeteilt, ich kam zu- sammen mit drei Landsleuten in die Klasse 9b5, in der nunmehr die deut- schen Schüler die Mehrheit stellten. Das Verhältnis zwischen uns war von Anfang an sehr gut. Einige Freundschaften, die ich damals schloss, bestehen auch heute noch. Häufig wurden wir auch von den Eltern unserer deutschen Klassenkameraden eingeladen. Derartige Begegnungen stärkten na- türlich unsere Bindungen an die neue Heimat. Aber wir lebten damals noch immer in der Vorstellung, nach unserer Ausbildung wieder nach Griechen- land zurückzukehren. Aus diesem Grund war es überhaupt keine perspektivische Option, hier zu bleiben. Auch meine Eltern waren noch Jahre lang überzeugt, dass ich nach einem Studium wieder in die Heimat kommen würde.”
Dimitrios Christakudis, Kornofolia Evros

Die in der Stadt Radebeul eingerichtete Flüchtlingsunterkunft trug den Namen "Freies Griechenland" und umfasste einige Ferienhäuser, die zur Unterbringung der Kinder evakuiert worden waren, eine Schule, ein Restaurant, ein Stadion und eine Zweigstelle des örtlichen Roten Kreuzes. Der Komplex unterstand institutionell dem Ministerium für Volksbildung der DDR, während die Verwaltung des Komplexes aufgrund der großen Zahl der versammelten Kinder von einer kleinen lokalen Organisation in die Verantwortung des Komitees "Freies Griechenland" überging. Die Gesundheitsversorgung und Bildung der Flüchtlingskinder war ein Hauptanliegen der lokalen Organisationen, immer in Zusammenarbeit mit der KKE.

Table 1
Bevölkerungskonzentration von politischen Flüchtlingen in Gebieten Ostdeutschlands [1949-1950].

Τόπος Εγκατάστασης

Παιδιά

Ενήλικες

Μέλη του ΚΚΕ - Τακτικά

Ενήλικες

Μέλη του ΚΚΕ - Δόκιμα

ΚΟΒ (Κομματική Οργάνωση Βάσης)

Radebeul- Heidenau

698

40

4

2

(Radebeul: 27/2)

(Heidenau: 13/2)

Leipzig

200

9

4

-

Erfurt

94

7

-

-

Wernigerode

63

6

2

-

Brandenburg

65

13

1

-

Güstrow

28

3

1

 

Berlin

3

3

-

 

Πηγή: Στράτος Ν. Δoρδανάς & Βάιος Καλογρηάς, Οι ζωές των άλλων. Η Στάζι και οι Έλληνες πολιτικοί πρόσφυγες στην Ανατολική Γερμανία (1949-1989), Επίκεντρο, Θεσσαλονίκη 2020, σ. 71.

Für den Unterricht der Flüchtlingskinder wurden 26 griechische und 39 deutsche Lehrer sowie 45 griechische und deutsche Lehrer eingesetzt. Der Unterricht wurde auf Deutsch und Griechisch abgehalten, obwohl inzwischen bestätigt wurde, dass es in Ostdeutschland slawischsprachige Kinder aus Mazedonien gab. Die Lebensbedingungen scheinen vorbildlich gewesen zu sein, denn die Kinder genossen "drei Mahlzeiten am Tag, Heizung, neue Kleidung und ein Badezimmer", aber das Umfeld des Radebeuler Komplexes war durch militärische Disziplin, einen starken politischen Diskurs und eine strenge Kontrolle der Kinder gekennzeichnet. Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung waren nicht erwünscht und das Verlassen der Kinderheime war nur in Begleitung möglich. Dennoch scheint es gelegentlich zu persönlichen Bindungen zwischen Flüchtlingskindern und Einheimischen gekommen zu sein.

“An die neuen Bedingungen habe ich mich relativ schnell gewöhnt, wahrscheinlich, weil man als Kind eher mit Veränderungen umgehen kann. Natürlich kannten wir das Gefühl von Traurigkeit, aber die gute Unterbringung und Verpflegung hat uns auch viele Widrigkeiten vergessen lassen - auch wenn wir kaum satt zu bekommen waren. Außerdem fühlten wir uns als Teil einer Familie, weshalb Traurigkeit nicht das vorherrschende Gefühl war. Zudem nahm uns das Erlernen der deutschen Sprache in Beschlag. Wir hatten einen griechischen Lehrer, der die deutschen Wörter mit griechischen Buchstaben an die Tafel schrieb - die mussten wir anschließend aufsagen. Aber eigentlich musste ich zugleich auch Griechisch lernen, da ich in der Dorfschule gerade einmal die erste Klasse besucht und vieles wieder vergessen hatte. Noch in Albanien wollte ich einen Brief an meine Schwester schreiben und stellte dabei fest, dass ich nur mit Mühe die einzelnen Buchstaben malen konnte.”
Efrossini Chatzi

Die berufliche Wiedereingliederung der Flüchtlingskinder war relativ einfach zu bewerkstelligen, da es die Möglichkeit gab, in den nahegelegenen Dresdner Fabriken zu arbeiten, während sich einige Kinder für den Besuch von Berufsschulen und andere für den Besuch einer Universität entschieden. Schon bald gründeten die nun erwachsenen politischen Flüchtlinge ihre eigenen Familien und stellten ihre politische und soziale Identität wieder her.

“Ich studierte an der Technischen Uni- versität Dresden Chemie und es wurde immer klarer, dass sich unser Auf- enthalt in der DDR hinziehen würde. Nach dem Ende des Studiums 1962 bekam ich ein sehr interessantes Arbeitsangebot vom neugegründeten Brennstoff-Institut in Freiberg. Dort habe ich dann 1964 auch meine zukünftige Frau Christel - eine Studentin an der Bergakademie - kennengelernt.”
Dimitrios Chrystakudis, Kornofolia Evros
“Nach Abschluss der zehnten Klasse habe ich in Seifhennersdorf Schneiderin gelernt. Danach bin ich nach Leipzig in ein Ledigenwohnheim in der Lumumba-Straße gezogen, wo ich ein kleines Zimmer bezog.Nach dem Praktikum bekam ich beim Bekleidungswerk Vestis eine Arbeitsstelle. Dort lernte ich mit 20 meinen späteren Mann - Siegfried - kennen. Er saß mir bei der Arbeit direkt gegenüber.“
Vasiliki Hanus, Raiko Ioannina

“Nach dem Heimaufenthalt und der Schulzeit mussten und konnten wir uns für den weiteren Bildungsweg entscheiden. Eigentlich wollte ich Medizin studieren. An der Berliner Humboldt-Universität hatte ich sogar einen Studienplatz sicher, gab aber dem Drängen meines Physiklehrers nach und wechselte in Dresden zu Kerntechnik und Reaktorbau. Er hatte mich mit dem Credo überzeugt: Kernphysik ist die Zukunft.”
Kostas Stoupis, Vissani Ioannina
Inzwischen waren wir entsprechend unserer zukünftigen Ausbildung in verschiedene Gruppe aufgeteilt worden. Ich sollte Elektriker werden, worüber ich sehr erfreut war, da ich Radiotechniker werden wollte. Drei Tage die Woche hatten wir theoretischen und drei Tage praktischen Unterricht. Die Ausbildung war hervorragend - ich lernte handwerkliche Tätigkeiten wie Feilen, Drehen, Bohren, sogar Schmieden - und erhielt dafür sogar noch Lehrlingsgeld - zumindest später in einer Höhe von 60 Mark. All das wäre in Griechenland unvorstellbar gewesen. Kurz, ich war inzwischen glücklich (...) 1954 erhielt ich dann mein Zeugnis. Als ich es überreicht bekam und die Zensuren sah, empfand ich Stolz. Ich war begeistert, wie viel ich gelernt hatte und sich damit mein Kindheitstraum erfüllte, so viel zu wissen, wie nur möglich. Aber es sollte mit dem Lernen noch weitergehen, denn nach Lehrabschluss wurden wir von einem griechischen Betreuer gefragt, wer von uns studieren wollte. Ich meldet mich natürlich sofort, und nach einem Intensiv-Vorbereitungskurs bewarb ich mich an der Ingenieurhochschule. Nach bestandener Aufnahmeprüfung begann das Studium. Danach arbeitete ich fünf Jahre im Starkstromanlagenbau Leipzig.”
Jorgos Peshos, Tsamantas Thesprotia

Nach Angaben des Komitees Freies Griechenland lebten 1959 1.218 griechische politische Flüchtlinge in der DDR, die neben Radebeul und dem Großraum Dresden (490) in Leipzig (263), Karl-Marx Stadt (182) und in geringerer Zahl in Brandenburg, Magdeburg, Berlin und anderswo lebten. Von ihnen waren 589 als Arbeiter und 162 in anderen Berufen tätig, darunter Ingenieure, Lehrer und Krankenschwestern, während 20 als Intellektuelle registriert waren. In der Gesamtzahl enthalten waren auch Hausfrauen und Kleinkinder bis zu 6 Jahren. Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen der KKE, der SED und der UdSSR ist in allen Bereichen, die den sozialen und politischen Status der griechischen politischen Flüchtlinge betreffen, offensichtlich.

“Es gab allerdings für uns in der DDR auch ein dunkles Kapitel, das mit dem Austritt meines Vaters aus der SED begann, nachdem ihm klar wurde, dass Geist und Politik dieser Partei nicht mit seinen Idealen übereinstimmte. Von diesem Moment an stießen wir immer häufiger auf Schwierigkeiten und Probleme. Meine Schwester etwa bei der Bewerbung für die Erweiterte Oberschule (heute Gymnasiums) und ich mit der Ablehnung für die Zulassung zum Studium, trotz meines Zensuren-Durchschnitts von 1,0. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Vater sogar an Erich Honecker einen Brief schrieb, um für mich einen Studienplatz zu erwirken - umsonst. Das alles hatte allerdings weniger damit zu tun, dass er griechischer Herkunft war, als vielmehr mit der Abkehr von der SED. ”
Heike Kokkinous, Leipzig Deutschland

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